In den letzten Wochen hat eine angebliche „Paracetamol-Challenge“ viele Menschen in Deutschland aufgeschreckt: Jugendliche hätten einander in den sozialen Medien angestachelt, möglichst große Mengen des rezeptfreien Schmerzmittels einzunehmen. Die Berichte waren zum Glück Fake News. Was aber keine Falschmeldung ist und auf keinen Fall vergessen werden darf: Rezeptfreie Medikamente sind nicht harmlos. Jedes Jahr kommt es beispielsweise zu zahlreichen Vergiftungen durch Paracetamol, die sogar tödlich enden können. Entscheidend ist, dass sich Patienten auch bei der Selbstmedikation an die Anwendungshinweise in der Packungsbeilage halten und Rücksprache mit ihrem Arzt oder Apotheker vor Ort halten. Werden rezeptfreie Medikamente im Supermarkt oder in der Drogerie erworben, ist diese umfassende, die Gesundheit schützende Beratung nicht möglich.
Überdosierung und falsche Anwendung
Anders als bei hochwirksamen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln können Patienten rezeptfreie Medikamente in der Apotheke kaufen, ohne vorher in einer Arztpraxis gewesen zu sein. Das heißt aber nicht, dass diese völlig ungefährlich wären: Vor allem bei Überdosierung oder falscher Anwendung können die Medikamente gravierende Nebenwirkungen haben. Außerdem können sie die Wirkung gleichzeitig eigenommener verschreibungspflichtiger Arzneimittel beeinflussen. Das gilt zum Beispiel für einige Schmerz- sowie Erkältungs- und Allergiemittel. Viele rezeptfreie Medikamente dürfen daher laut Arzneimittelgesetz nicht einfach wie Lebensmittel oder Haushaltswaren im Supermarkt oder in der Drogerie verkauft werden. Stattdessen sind die stärkeren unter den rezeptfreien Medikamenten apothekenpflichtig, dürfen also nur in Kombination mit der fachkundigen Beratung durch einen Apotheker abgegeben werden.
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Beratung nur in der Apotheke
Apotheker erfüllen bei der Arzneimittelabgabe zwei wichtige Aufgaben: Sie prüfen, ob ein Patient, der ein rezeptfreies Medikament kaufen möchte, nicht doch den Arzt aufsuchen und eine medizinische Diagnose erhalten sollte. Und sie beraten über die Anwendung, Dosierung sowie mögliche Wechsel- und Nebenwirkungen. Hierzu sind sie gesetzlich verpflichtet. Nur Arzneimittel mit besonders geringem Risiko für die Gesundheit dürfen zusätzlich frei im Supermarkt oder in der Drogerie verkauft werden. Aber Vorsicht: Dort arbeiten keine Arzneimittelexperten! Es gibt also auch keine professionelle Beratung. Dementsprechend sind die bisher frei verkäuflichen Arzneimittel nicht zur Behandlung von Krankheiten gedacht. Sie sollen nur Beschwerden lindern und das Wohlbefinden steigern.
Apothekenpflicht schützt Patienten
Und wenn es zukünftig mehr rezeptfreie Medikamente in Supermarkt und Drogerie gäbe? Ohne die begleitende pharmazeutische Beratung wären Patienten deutlich schlechter vor den Risiken geschützt, die von apothekenpflichtigen Arzneimitteln ausgehen. Falsche Anwendungen würden zunehmen, es würde mehr gesundheitliche Beschwerden und Erkrankungen geben und letzten Endes könnte die Zahl der nötigen Arztbesuche und vielleicht Krankenhausaufenthalte steigen. Ein Blick in andere Länder hilft, das Risiko abzuschätzen: In Schweden wurde zum Beispiel im Jahr 2009 die Apothekenpflicht für nicht verschreibungspflichtige Medikamente aufgehoben. Rezeptfreie Medikamente waren also leichter zugänglich. In der Folge stieg die Zahl der Vergiftungsfälle mit dem Schmerzmittel Paracetamol bis 2013 von 1015 auf 1520. Daraufhin führte Schweden die Apothekenpflicht 2015 wieder ein. Das ist kein Einzelfall: In anderen Ländern, in denen Paracetamol außerhalb von Apotheken verkauft werden darf, kommt es dreimal so häufig zu vermuteten Vergiftungsfällen.
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Zuverlässige Beratung nur vor Ort
Die umfassende Beratung in der Apotheke und der Blick nach Schweden machen klar, wie wichtig die Apothekenpflicht ist. Heutzutage, wenn sich immer mehr Menschen aus bisweilen ungeprüften, unzuverlässigen Quellen im Internet informieren, sind die pharmazeutische Beratung und die persönliche Vertrauensbasis mit dem Apotheker vor Ort unverzichtbar. Nur so können immer wieder kursierende Falschinformationen ausgeräumt und eine sichere Selbstmedikation ermöglicht werden. Kurz: Die Apothekenpflicht muss unbedingt bestehen bleiben.
Verantwortungsvoller Umgang mit allen Medikamenten
Ein verantwortungsvoller Umgang ist selbstverständlich auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unabdingbar, zum Beispiel wenn diese aus früheren ärztlichen Behandlungen im Medikamentenschrank zu Hause „liegengeblieben“ sind. Das hat jüngst wieder ein tragischer Vorfall mit Lean, einem gefährlichen Gemisch aus Limonade und Hustensaft mit dem rezeptpflichtigen Wirkstoff Codein, gezeigt: https://www.polizei.bayern.de/aktuelles/pressemitteilungen/080537/index.html.